Identitätspolitik ist ein sperriges Wort und viele aufgeregte Debatten kreisen darum. Keiner vermag es so recht zu erklären, dabei ist der Kern dieses Kampfbegriffs so alt wie die Menschheit. »Wir zuerst!« ist ein Schlachtruf, der zu allen Zeiten ertönt ist. »America first« ist Identitätspolitik, aber auch »Black Lives Matter« nutzt die Schlagkraft, die von dem »Wir zuerst!« ausgeht. Beiden Parolen ist eine rätselhafte Mischung aus Plattitüde und Angriff zu eigen. Natürlich zählen Schwarze Leben. Doch der Ruf wird militant, wo die Aussage »All Lives Matter« nicht mehr akzeptiert wird. Warum sollen »alle Leben« nicht zählen, und warum sollen nur »Schwarze Leben« zählen? Oder geht es darum gar nicht? Mit diesen Fragen, die ins Herz der Identitätspolitik führen, beginnt Bernd Stegemann seinen ideengeschichtlich fundierten Essay, in dem er einen Blick auf die Kipppunkte der Identitätspolitik wie Opfermanagement, Intimkommunikation, Cancel Culture, Critical Race Theory oder Wokeness wirft und die Frage nach der Zukunft des Universalismus stellt.
Immer mehr Gruppen erheben Ansprüche an die Mehrheitsgesellschaft, sagen, wie sie bezeichnet werden möchten, 'LSBTIQ*' zum Beispiel oder 'Person of Color'. Sie benennen ihre Grenzen des Zumutbaren, weisen auf rechtliche und gesellschaftliche Missstände hin. Doch was für die einen dringend notwendige emanzipatorisch-politische Akte sind, erleben andere als Überempfindlichkeit und Bedrohung der Demokratie. In seinem neuen Buch 'Die Öffentlichkeit und ihre Feinde' setzt sich Bernd Stegemann ernsthaft und kritisch mit der Identitätspolitik auseinander. Die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal hingegen erprobt in ihrem Roman 'Identitti' einen gewitzten, selbstironischen Zugang. Was genau ist Identität - und welche Bedeutung sollte sie haben? Wann ist Identitätspolitik notwendig - wann selbstgerecht? Mod.: Svenja Flaßpöhler. Ein Gespräch im Rahmen der phil.COLOGNE 2021